Teil 18 der Serie Text: Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl
Immer wieder aufs Tapet gebracht werden Stereotypen und Mythen, die über Jahre und Jahrzehnte in der Tourismusbranche verbreitet werden, ohne dass sich jemand wirklich die Mühe macht, objektiv nachzuforschen, wie denn nun die Wirklichkeit aussieht. In dieser Ausgabe geht der Münchner Tourismus- und Sozialwissenschaftler Dr. Walter Kiefl der Frage auf den Grund, wie es heutzutage um die Gleichstellung von Frauen und Männer bestellt ist, wenn es um das Tragen von Badebekleidung geht.
Beginnend mit der „Erfindung“ des oberteilfreien Damenbadeanzugs durch den österreichisch-US-amerikanischen Modeschöpfer Rudi Gernreich (1922-1985) ist es seit der Mitte der 1960er-Jahre zu einer Liberalisierung der Bademode gekommen, die in den 1970er- bis 1990er-Jahren ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Wenn Gernreich zwar der wirtschaftliche Erfolg seiner – von manchen Kollegen als „hässlich“ bezeichneten – Kreation auch versagt geblieben ist, hat der von ihm initiierte Bruch mit einer bis dahin weitgehend ungefragt hingenommenen Konvention dazu geführt, dass an den Stränden im In- und Ausland immer häufiger auf Bikini-Oberteile verzichtet wurde. Wie die Modeexpertin Beate Berger dazu bemerkte, war die „ideologische“ Freilegung der Brüste für die junge Frauengeneration der 1970er-Jahre, die die beengenden Konventionen der Nachkriegszeit hinter sich lassen wollte, weniger eine Modeerscheinung als ein augenfälliges Symbol der Emanzipation.
In diesem Sinne äußerte bereits 1964 der bekannte deutsche Soziologe Rene König (1906-1992) die Überzeugung, dass die freie Darbietung der weiblichen Brust in der Öffentlichkeit den logischen Endpunkt der Emanzipation von Frauen und Mädchen darstellen würde. Noch weitergehend argumentierte mehr als 30 Jahre später die amerikanische Frauenforscherin, Universitätsdozentin und Feministin Marilyn Yalom: „Haben wir es hier nicht mit einer Form von Diskriminierung von Frauen zu tun? Warum müssen Frauen in Parks und Sportstadien schwitzen, während Männer die Freiheit haben, ihre Hemden abzulegen? Ist das Gesetz nicht eigentlich Ausdruck des Stereotyps von der lasterhaft-verführerischen Natur der weiblichen Brüste und des alten Klischees, Männer könnten sich angesichts eines unbedeckten Busens nicht beherrschen? Dienen solche Gesetze nicht dem Zweck, nackte Brüste für Pornografie, Film, Fernsehen und Werbung zu reservieren, wo sie umso wertvoller sind, wenn sie anderswo verhüllt werden müssen?“
| Weniger Freizügigkeit |
Zwar haben sich schon seit Mitte der 1960er-Jahren Sittenwächter dazu berufen gefühlt, diesen zunächst unpolitischen und bescheidenen Befreiungsakt mit (wenig überzeugenden) Gegenargumenten und auch mithilfe von Polizei und Justiz zu bekämpfen, doch hielt sich ihr Erfolg in Grenzen. Mehr als die Polemik konservativer Gegner(innen) haben die Gewöhnung an die erkämpfte Freiheit und damit der Verlust der Chance, sich auf diese Weise als besonders avantgardistisch, liberal und mutig darzustellen, dazu beigetragen, dass unbedeckte weibliche Brüste an den Badestränden und in Freibädern inzwischen wieder seltener geworden sind.
Weitere Gründe für weniger Freizügigkeit sind eine allgemein zu beobachtende kritischere Einstellung gegenüber dem eigenen Körper infolge der stärkeren Orientierung an kommerzialisierten Idealbildern und die Sorge, aufgrund neuer technischer Möglichkeiten heimlich aufgenommene „pikante“ Bilder von sich im Netz zu finden.
Die dadurch bewirkte Zurückhaltung gegenüber dem „oberteilfreien“ Baden könnte sich jedoch bald wieder ändern. Dies hängt damit zusammen, dass die „profanen“ Argumente (zum Beispiel Vermeidung heller Streifen, Bequemlichkeit, Freiheitsgefühl) eine emanzipatorische, politisch-ideologische Aufwertung erfahren haben.
Waren es in den 1970er- bis 1990er-Jahren vor allem hedonistische Motive (Körpergefühl, Narzissmus, sich frei fühlen, Zeigelust, Koketterie, Ästhetik, …), so spielt seit einiger Zeit das Streben nach Beseitigung noch fortbestehender geschlechtlicher Diskriminierungen eine besondere Rolle. Vom Standpunkt der erstrebten Beseitigung jeglicher geschlechtsspezifischen Diskriminierung aus ist es schwer einzusehen, warum Männer im Gegensatz zu Frauen ihren Oberkörper beim Baden und Sonnenbaden nicht bedecken müssen und die gesetzlich und gesellschaftlich garantierte beziehungsweise geforderte Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei der Badekleidung enden soll.
| Platzverweis für Architektin |
Gerade im sich sonst als besonders weltoffen und tolerant gebenden Berlin hat sich im Juni 2021 ein Fall ereignet, der für erhebliche und dem an sich banalen Vorkommnis unangemessene Medienresonanz gesorgt hat. Betroffen war eine 38-jährige Architektin, die sich mit ihrem sechsjährigen Sohn und einem Freund mit dessen Tochter auf einem Wasserspielplatz im Bezirk Treptow-Köpenick aufhielt. Beide Erwachsene saßen mit freiem Oberkörper auf der Wiese. Zwei offenbar unterbeschäftigte Wachmänner einer Sicherheitsfirma forderten die Frau in rüdem Ton auf, ihre Brust zu bedecken, wobei sie sich auf die geltenden Bestimmungen der Badeordnung beriefen, der zufolge es sich hier um kein FKK-Gelände handle und sie deshalb „handelsübliche Badekleidung“ tragen müsse. Auf den Hinweis, dass sie ja eine Badehose trüge und deshalb ebenso wenig nackt sei wie ihr Begleiter, erhielt sie die Antwort: „Als Frau müssen Sie einen BH tragen.“ Die Architektin ließ sich davon nicht einschüchtern und argumentierte, dass es sich bei der Anweisung der Wachleute um einen eindeutigen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter handle und es demnach nicht zulässig sei, sie wegen ihrer unbedeckten Brüste zu maßregeln oder vom Platz zu verweisen.
Zahlreiche andere anwesende Frauen solidarisierten sich daraufhin mit der Betroffenen in Worten und Taten (Letzteres, indem sie sich ebenfalls ihrer Oberbekleidung entledigten). Dennoch blieben die Wachleute stur und die daraufhin herbeigerufene Polizei zwang die „Übeltäterin“, das Gelände zu verlassen. Auch mit Rücksicht auf ihr Kind, das unter der heftig geführten Auseinandersetzung litt, wich sie schließlich der Staatsgewalt, wehrte sich aber auf juristischem Weg, indem sie Beschwerde einlegte. Dabei berief sie sich auf das im Bundesland Berlin seit 2020 geltende Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), das die Möglichkeit bietet, gegen das Bundesland vorzugehen, wenn sich jemand durch dessen Behörden oder Institutionen aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Religionszugehörigkeit oder sexueller Orientierung benachteiligt fühlt. Nach Auffassung der Leiterin der zuständigen Beschwerdestelle lag in diesem Fall eindeutig eine Diskriminierung vor, die durch die Art und Weise der Behandlung der Betroffenen noch verstärkt wurde. Sie empfahl dem zuständigen Bezirksamt, sich bei der Frau zu entschuldigen und die Badeordnung entsprechend abzuändern, das heißt Männern und Frauen das Baden mit freiem Oberkörper gleichermaßen zu gestatten. Da dies zunächst nicht geschah, wurde – als schärfste mögliche Maßnahme – eine offizielle Beanstandung ausgesprochen. Erst einige Zeit später erfolgte eine unbefriedigende Entschuldigung sowie Überarbeitung der Nutzungsordnung am Wasserspielplatz, wonach dort nur noch die primären Geschlechtsteile bedeckt sein müssen.
| Nach Eklat – Badeordnung überarbeitet |
Dabei hat man sich an der modifizierten Badeordnung von München orientiert, wo sich 2019 ein ähnlicher Vorfall ereignet hatte: Anstatt sich um die Sicherheit und Sauberkeit am Isarufer zu kümmern, hatten Mitarbeiter eines privaten Wachdienstes mehrere Frauen ohne Bikini-Oberteil auf rüde Weise beanstandet, worauf es – nach entsprechenden Presseberichten und Solidaritäts- und Unmutsaktionen – zur fälligen Überarbeitung der Badeordnung gekommen ist. Auch in einigen anderen Städten hat man sich inzwischen an dieser Regelung orientiert, die von Befürwortern:innen nicht nur als Schritt zur Emanzipation, sondern auch als Beitrag zur Entsexualisierung des weiblichen Körpers gesehen wird.
Welche Folgerungen ergeben sich daraus für kommunale und private Badbetreiber? Eine rechtlich abgesicherte Liberalisierung – besser: die längst fällige Gleichstellung – der Badeordnung, wie sie zum Beispiel schon seit mehreren Jahren in Schweden auch für Hallenbäder gilt – scheint wohl nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Zwar kann jeder Betreiber eines Schwimmbades im Rahmen seines Hausrechts einschränkende Bestimmungen erlassen, doch setzt er sich damit dem Risiko einer Klage wegen geschlechtsbezogener Diskriminierung aus. Gelassenheit, Großzügigkeit, Toleranz und vor allem das Achten auf Gleichbehandlung sind die besseren Alternativen.
| Fazit |
Es geht nicht darum, ob, beziehungsweise in welchem Umfang Frauen von einem selbstverständlichen Gleichheitsrecht Gebrauch machen, sondern um die überfällige Suspendierung einer bislang stillschweigend hingenommenen rechtlichen Diskriminierung einschließlich der damit verbundenen mehr oder weniger subtilen informellen Sanktionierungen, die sich bei den davon betroffenen Frauen in Scham und schlechtem Gewissen niederschlagen können.