Teil 21 der Serie Text: Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl
Immer wieder aufs Tapet gebracht werden Stereotypen und Mythen, die über Jahre und Jahrzehnte in der Tourismusbranche verbreitet werden, ohne dass sich jemand wirklich die Mühe macht, objektiv nachzuforschen, wie denn nun die Wirklichkeit aussieht. In dieser Ausgabe gehen die Münchner Tourismus- und Sozialwissenschaftler Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl der Frage auf den Grund, ob das Verbot von Kurzstreckenflügen ein wirksames Mittel gegen den Klimawandel darstellt.
Mythos: Die Vermeidung von Kurzstreckenflügen ist ein wirksames Mittel gegen den Klimawandel.
Es besteht ein weitgehender Konsens darüber, dass der Flugverkehr aktuell mit am meisten zur Klimakrise beiträgt. Dem deutschen Umweltbundesamt zufolge werden bei einem Inlandflug (beziehungsweise Kurzstreckenflug) pro Person und Kilometer durchschnittlich 214 Gramm CO2 ausgestoßen. Die entsprechenden Werte für einen Pkw betragen 154 Gramm, für einen Nahverkehrszug 54 Gramm und für einen Fernverkehrszug 29 Gramm. Zusätzlich zum Kohlendioxid fallen bei Flügen auch Kohlenmonoxide, Stickoxide, Aerosole, Ruß und andere Schadstoffe an. Würde man die Aufwendungen für die Heilung der durch den Flugverkehr entstehenden Umweltschäden zu den niedrigen Flugpreisen addieren, wären die Kosten dafür für die meisten Menschen nicht mehr bezahlbar.
So liegt die Folgerung nahe, dass insbesondere die Vermeidung von Kurzstreckenflügen unter 1000 Kilometern, die 2020 einen Anteil von 53 Prozent aller von deutschen Flughäfen gestarteten und gelandeten Passagierflüge ausmachten, ein wirksames Mittel zur Eindämmung des Klimawandels und seiner zahlreichen negativen Auswirkungen sein könnte. Dementsprechend befürworten sowohl das deutsche Bundesaußenministerium als auch die Partei der Grünen und sämtliche Umweltschutzverbände das „Überflüssigmachen“ von Kurzstreckenflügen. Begründet wird dies damit, dass es zum einen meist gute, schnelle und umweltfreundlichere Alternativen gebe, und zum anderen, dass bei Starts und Landungen (die bei Kurzstrecken mehr ins Gewicht fallen als bei Langstrecken) besonders viel Treibstoff verbraucht wird.
Dagegen wird vorgebracht, dass es sich bei den Kurzstreckenflügen meist um Anschlussflüge handelt (geschätzt über 40 Prozent der Flugbewegungen unter 1000 Kilometern Strecke), die zumeist ins Ausland gehen – nur 14 Prozent sind Inlandsflüge. Und nicht immer lassen sich alle diese Anschlussflüge durch umweltfreundlichere Hochgeschwindigkeitszüge ersetzen. Auch darf man – abgesehen von den derzeit hohen Bahnpreisen – die Statistik nicht unter den Tisch fallen lassen, dass Flüge in der Regel pünktlicher sind als Bahnen.
Besonders ernst zu nehmen ist jedoch der Einwand, dass mit steigender Flughöhe die negativen Umweltbelastungen zunehmen. Je höher ein Flugzeug unterwegs ist, desto größer ist der negative Effekt aufs Klima. Eine vor Kurzem im Journal of Transport Geography publizierte umfangreiche Studie einer Forschungsgruppe rund um Frédéric Dobruszkes, bei der sämtliche Passagierflüge von 31 europäischen Ländern analysiert wurden, ergab, dass Flüge unter 500 Kilometern nur 5,9 Prozent, Flüge von 4000 Kilometern und mehr aber 47,0 Prozent des Treibstoffverbrauchs ausmachen.
Eine Abschaffung von Kurzstreckenflügen hätte demnach nur einen bescheidenen ökologischen Effekt. Schätzungen bewegen sich im einstelligen Prozentbereich der gesamten Emissionen in Deutschland. Überhaupt nicht zu unterschätzen ist aber der resultierende Umsteigeeffekt, das heißt eine dann anzunehmende vermehrte Pkw-Nutzung. was wiederum zu einer Erhöhung der CO2-Produktion führen würde. Große, schnelle Pkws mit womöglich nur einem einzigen Insassen würden das durch die Abschaffung von Kurzflügen eingesparte CO2 mehr als kompensieren.
Auch würde ein dann notwendiger Ausbau entsprechender Infrastrukturmaßnahmen (vor allem des deutschen Bahnnetzes) nicht einfach und schon gar nicht schnell zu realisieren sein. Schließlich ist auch noch zu berücksichtigen, dass der Wegfall von Kurzstreckenflügen auch zusätzliche Kapazitäten (Slots) für Langstreckenflüge entstehen lässt, womit die Emission von CO2 und anderen Schadstoffen wiederum stark zunähme.
| Fazit |
So einfach, wie es zunächst aussieht, ist die Lösung mit einem Verbot von Kurzstreckenflügen leider nicht. Ökologisch wäre damit nur wenig gewonnen – und wirklich konsequent wäre das auch nicht. Wer ein Verbot propagiert, muss sich realistische Gedanken um die denkbaren Konsequenzen machen. Ein Verbot löst nicht unbedingt ein Problem. Manchmal wird das Problem nur größer, manchmal entstehen neue Probleme.
Einseitige Maßnahmen gegen Kurzstreckenflüge verleihen Entscheidungsträgern und politischen Parteien ein positives, umweltbewusstes Image, beruhigen das Gewissen der umweltbesorgten Mehrheit und tun nur einer Minderheit eher Privilegierter weh – was vielen der sich unterprivilegiert Fühlenden zusätzlich auch noch eine gewisse Genugtuung verschafft.
Radikale Maßnahmen zur Einschränkung jeglicher Art nicht notwendiger Reisen (wie etwa Kreuzfahrtschiffe, Pkws, Geschwindigkeitsbegrenzungen usw.), um dadurch den CO2-Ausstoß entscheidend zu verringern, verfechten gegenwärtig nur wenige. Da ist es einfacher, die – als weniger erheblich nachgewiesenen – Kurzflüge abzuschaffen.