Teil 20 der Serie Text: Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl
Immer wieder aufs Tapet gebracht werden Stereotypen und Mythen, die über Jahre und Jahrzehnte in der Tourismusbranche verbreitet werden, ohne dass sich jemand wirklich die Mühe macht, objektiv nachzuforschen, wie denn nun die Wirklichkeit aussieht. In dieser Ausgabe gehen die Münchner Tourismus- und Sozialwissenschaftler Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl der Frage auf den Grund, ob hundefreundlicher Urlaub voll im Trend liegt oder es nur den Anschein hat.
Tierliebe und Reiselust: Ohne Zweifel haben Haustiere und insbesondere Hunde und Katzen einen hohen Stellenwert bei den Menschen in Mitteleuropa. In Deutschland besitzen 84,1 Millionen Einwohner 34,7 Millionen Haustiere, das heißt, auf einen Einwohner kommen rund 0,41 Haustiere; in Österreich sind es bei 9 Millionen Einwohnern rund 3,3 Millionen Haustiere. In beiden Ländern sind übrigens die beliebtesten Genossen Katzen (16,7 Millionen beziehungsweise 2 Millionen) und Hunde (10,3 Millionen beziehungsweise 837.000). Hinzu kommen noch Kleinsäuger (Kaninchen, Meerschweinchen u. a.) sowie Ziervögel, Reptilien und Fische. In 47 Prozent aller Haushalte in Deutschland und in 34 Prozent in Österreich gibt es wenigstens ein Tier. Bei Familien mit Kindern beträgt dieser Anteil in Deutschland sogar 69 Prozent. Ältere Menschen (60 Jahre und mehr) sind bei den Tierbesitzern überrepräsentiert. Aktuell lebt in 21 Prozent aller deutschen Haushalte (wenigstens) ein Hund.
Es ist verständlich, dass viele Tierfreunde ihre Tiere auch mit in den Urlaub nehmen wollen. Tatsächlich lässt sich seit einigen Jahren auch eine bemerkenswerte Zunahme von Angeboten für Ferien mit dem Haustier feststellen. Wenn man der Werbung Glauben schenken will, ist es heutzutage kein Problem mehr, Tierliebe und Urlaubsgenuss zu vereinbaren – nicht nur für die Halter, sondern auch für Reiseveranstalter, Carrier und Hoteliers, sodass sich ein neues touristisches Segment etabliert zu haben scheint (was in den USA „animal-friendly-“ oder auch „pet-friendly-tourism“ genannt wird). Es ist noch kein Massenphänomen, aber die vorhandenen Zahlen zeigen ein wachsendes Interesse unter den Tierbesitzern.
| Die Motive für Urlaub mit dem Haustier |
Warum machen das Menschen überhaupt, dass sie ihr geliebtes Haustier mitnehmen? Würde man das wissen, könnte man sich seitens der Tourismusbranche, insbesondere der Transport- und Beherbergungsbetriebe, vielleicht noch besser auf die Wünsche der Urlauber einstellen. Aufschlussreich ist eine in sechs europäischen Ländern (Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Portugal, Großbritannien) bei 3002 Haustierbesitzern durchgeführte Umfrage im Auftrag eines europäischen Ferienhausportals, bei der etwa herauskam, dass bei 42 Prozent der Haushalte das Haustier als „gleichberechtigtes“ Familienmitglied gilt, das – ob es will oder nicht – in den Urlaub mitgenommen werden muss. 54 Prozent der befragten Hundebesitzer, aber nur 26 Prozent der Katzenbesitzer haben ihr Tier mit in den letzten Urlaub genommen, was vermutlich daran liegt, dass sich Katzen leichter als Hunde während des Urlaubs anderswo unterbringen lassen und auch keine so starke Beziehung zu ihren Besitzern haben. Das Haustier scheint, wenn man mal so ausdrücken will, „Karriere gemacht“ zu haben, vom Nutztier und geduldeten Anhängsel zum „Schmusetier“ und quasi vollberechtigten Familienmitglied, mit dem Anspruch (oder der Pflicht?) in die Ferien mitzukommen. Hochinteressant ist das Ergebnis, wonach 31 Prozent der Hundebesitzer angaben, sie hätten „Schuldgefühle“, wenn sie ohne ihren Vierbeiner verreisen würden!
Hier stellt sich die Frage, ob diese Schuldgefühle und andere mehr oder weniger bewusste Annahmen der Besitzer (zum Beispiel, dass die Zuneigung zum Tier von diesem entsprechend erwidert wird) sowie weitere Motive (zum Beispiel, sich als guter Mensch, als Tierfreund, zu präsentieren oder mit einem präsentierfähigen Rassehund Prestigebedürfnisse zu befriedigen) ausreichen, um den geliebten Hausgenossen die Belastungen einer weiten Reise und insbesondere eines Flugs auszusetzen.
Besonders für Rudeltiere wie Hunde wäre vermutlich eine gute Tierpension häufig die bessere Lösung, da sie dort weniger Stress ausgesetzt sind und zugleich mehr und intensiveren Kontakt zu Artgenossen haben. Dass solche tiergerechten Alternativen nicht stärker genutzt werden, hat wahrscheinlich nicht nur mit den damit verbundenen Kosten zu tun, sondern auch mit der zu beobachtenden stark zunehmenden Tendenz zur „Vermenschlichung“ (Anthropomorphisierung) von Haustieren und deren Bedürfnissen. Man unterstellt beispielsweise den Tieren – leider kann man sie nicht fragen –, dass sie ähnlich empfinden würden wie Herrchen und Frauchen. Eine Rolle spielt auch die für manche Besitzer vielleicht deprimierende – und deshalb von ihnen vermutlich auch verdrängte – Ahnung, dass Haustiere sie weniger brauchen und lieben könnten als umgekehrt.
Völlig ausgeblendet wird dabei oft auch die Tatsache, dass „Verreisen“, in den Urlaub mitkommen zu wollen, für ein Tier, auch nicht für „zur Familie gehörende“ Hunde, per se keinen Wert, keine Belohnung und keine Vergünstigung darstellt, sondern nur ein notwendiges Übel, um sich der Gesellschaft seines Besitzers auch während der Abwesenheit vom gewohnten Umfeld zu erfreuen.
Ein Hund ist weder an schönen Landschaften, luxuriösen Hotels, sauberen Badestränden, guten Restaurants oder berühmten Sehenswürdigkeiten interessiert, sondern eher an Plätzen, die aus gutem Grund für ihn verboten oder nur an der Leine begehbar sind (wildreiche Wälder) oder an welchen sein Besitzer in der Regel keinen Gefallen findet (Abfallhaufen und Müllhalden).
Dessen ungeachtet haben in einer Umfrage 20 Prozent der Tierbesitzer angegeben, es sei heute einfacher als früher, sein Haustier mitzunehmen. Wie wird nun verreist?
| Auf großer Fahrt mit dem Vierbeiner |
Der eigene, dem Tier bereits vertraute Pkw ist in der Regel das beste Verkehrsmittel, weil er eine Schutzhülle gegen irritierende und als bedrohlich empfundene Reize darstellt und damit Sicherheit bietet, von Pausen ganz abgesehen. Mit Bahnen und Bussen – vor allem, wenn sie wie in der Hauptreisezeit gut besetzt sind – ist das schon schwieriger, teurer und es gibt Einschränkungen (Leinen- und Maulkorbzwang).
Die Zahl der Probleme ist damit nicht erschöpft, denn innerhalb der EU und besonders bei Reisen in nicht EU-Staaten sind Belege (Gesundheitszeugnisse, Versicherungsbescheinigungen) mitzuführen und bestimmte Vorschriften (Quarantäne) zu beachten. Kolportiert wird der Fall einer Familie aus Frankreich, der erst dann die Einreise ins Vereinigte Königreich gestattet wurde, nachdem sie ihr mitreisendes Meerschweinchen hatten einschläfern lassen.
Flugreisen stellen noch höhere Anforderungen an Tiere und Besitzer, auch wenn Fluggesellschaften jetzt mehr mit der Möglichkeit der Mitnahme von Tieren werben, um auf diese Weise weitere Einkunftsmöglichkeiten zu erschließen. Eine aktuelle Befragung unter ihnen ergab große Unterschiede hinsichtlich der akzeptierten Hunderassen, der Größe der Transportboxen, der Strecken, auf denen ein Transport möglich ist, und der Kosten. Letztere variieren derzeit zwischen 8 Dollar (Turkish Airline) und 300 Dollar (Emirates pro maximal 3 Tieren). Katzen und kleine Hunde dürfen zwar – mit Maulkorb – in der Regel in einer Tasche in die Kabine mitgenommen werden, müssen aber während des gesamten Fluges darin bleiben. Weil die Anzahl der in einer Kabine gestatteten Tiere begrenzt ist, geht das nicht ohne frühzeitige Anmeldung. Größere Tiere sind nur in einem verschließbaren Transportbehälter im Frachtraum gestattet. Auf die dort herrschenden Temperaturen müssen sich Halter und Tiere einstellen.
Man darf annehmen, dass die so beförderten Tiere einer Vielzahl starker Stressfaktoren ausgesetzt sind: eingeschlossen, vom Besitzer getrennt und mit beängstigenden unbekannten Eindrücken konfrontiert (Lärm, Dunkelheit, Druckunterschiede, Kälte, Einsamkeit, erleben anderer ängstlicher, panischer oder aggressiver Leidensgenossen). Um diese Belastungen zu reduzieren, sollte ein Halter dem Tier zumindest ein Umsteigen beziehungsweise Umladen ersparen, das heißt, einen kurzen und direkten Flug buchen, was nicht immer oder mitunter nur mit erheblichen Mehrkosten möglich ist. Alles in allem können Flugreisen als die vielleicht unangenehmste Beförderungsmöglichkeit für Tiere angesehen werden.
| Am Urlaubsort |
Die fremde Umgebung kann für einen Hund – andere Haustiere werden seltener mitgenommen – mehr oder weniger belastend sein: Das Ungewohnte allein stellt schon eine Herausforderung dar, aber auch veränderte klimatische Verhältnisse, unbekannte Geräusche und Gerüche, fremde Menschen und ungewohnte Restriktionen wie etwa ein genereller Leinen- und Maulkorbzwang. Das ist ein Stress, mit dem nicht nur Hunde und Halter, sondern auch Hotelangestellte fertig werden müssen.
In manchen Urlaubsländern sind Haustiere und insbesondere Hunde nicht gerne gesehen, das heißt Reisende aus Nord-, West- und Mitteleuropa können in Süd- und Osteuropa und in außereuropäischen Destinationen nicht mit einer ähnlich hohen Akzeptanz wie zu Hause rechnen. Das hat mit einer grundlegend anderen Einstellung den Tieren gegenüber zu tun, die nicht zu unterschätzen ist.
Es gibt weitere Nachteile beim angeblich so „hundefreundlichen“ Urlaub: Weil es sich bei einigen Vierbeinern nicht nur um niedliche und/oder wohlerzogene Exemplare handelt und selbst völlig problemlose Rottweiler, Doggen oder Bernhardiner bereits durch ihre Erscheinung bei anderen Gästen Ängste auslösen, können auch manche ansonsten gut erzogene und freundliche Hunde stören, wenn sie bei längerer Abwesenheit der Besitzer stundenlang jaulen und weinen. Manche Rassen werden auch von einigen Hotels aufgrund ihrer Problemanfälligkeit grundsätzlich ausgeschlossen.
Ein Motiv vieler Gäste ist auch, zeitweise „Urlaub vom Hund“ zu machen, zum Beispiel bei kulturorientierten Exkursionen oder in den Abend- und Nachtstunden. Da eine weitgehend sorglos zu verbringende Freizeit mit an erster Stelle der Urlauberwünsche steht – und dieser Wunsch hat eher nach Corona zugenommen –, ist es nicht mit einer bloßen Aufbewahrung und Futterversorgung getan.
| Spaß-Urlaub für den Hund |
Ein Trend geht zu einem Spaß-Urlaub für die Hunde; es müssen regelrechte Programme ausgearbeitet werden, neben mehreren gut ausgestatteten Freigehegen müssen neben entsprechenden Einrichtungen (große Freigehege, Sportgeräte, Spielzeug) auch Tierpfleger, Hundetrainer und Veterinärmediziner vorhanden sein, um die Tiere zu beaufsichtigen, zu betreuen, zu beschäftigen und eventuell auch (besser) zu erziehen. Die dafür erforderlichen Investitionen schlagen sich natürlich im Preis nieder, sodass besonders hundefreundliche Hotels vor allem im Luxussegment anzusiedeln sind. Es zeigt sich bereits jetzt in Berichten von Anbietern von Ferienwohnungen, dass das Klientel zunehmend nicht nur für sich, sondern auch für ihre Hunde hohe Ansprüche stellt.
| Wie Hund und Katz’ – werden andere Gäste vergrault? |
Für hundefreundliche Beherbergungsbetriebe gilt, dass immer auch den Bedürfnissen, Ängsten und Abneigungen eines weniger hundefreundlichen Publikums Rechnung getragen werden muss, um nicht anstatt der erhofften Mehrerträge Einbußen durch das Ausbleiben anderer Gäste zu erleiden. Das ist ein Punkt, der gerne übersehen wird. Um den mit einer eindeutigen Positionierung für oder gegen Hunde verbunden Risiken zu entgehen, sind pragmatische Lösungen nötig, wie Lärmschutzmaßnahmen, abgrenzbare Bereiche, der den sich durch Hunde gestört fühlenden Gästen vorbehalten bleibt und dergleichen mehr. Letztlich wird die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit der Koexistenz von hundefreundlichen und „normalen“ Gästen zunehmend drängender.
| Fazit |
Die Mitnahme eines Vierbeiners erfordert immer noch und vielleicht sogar zukünftig zunehmende große Anforderungen und Einschränkungen. Die Vorstellung einer völlig sorglosen „Aus-Zeit“ zusammen mit dem geliebten Haustier ist keineswegs realistisch. Ob der Urlaubstrend „zum Hund“ anhält, hängt auch entscheidend davon ab, wie sich die allgemeinen – politischen und ökonomischen (!) – Rahmenbedingungen entwickeln. Am wahrscheinlichsten scheint uns, dass sich – zumindest mittelfristig – der Trend zum teuren, hundefreundlichen Luxusurlaub verstärken wird.