Hotelbewertungen sind etwa bei Übergabe, Kauf und Verkauf oder im Erbfall von zentraler Bedeutung. Hier ein Überblick über die wichtigsten Punkte, der Einfluss der USA und was das Kolosseum sowie der Trevi-Brunnen damit zu tun haben – oder nicht.
Auch im Zuge etwa gerichtlicher Auseinandersetzungen stützen sich die Gerichte auf entsprechende Gutachten. Bei gewerblich genutzten Liegenschaften wird dem Ertragswert gegenüber dem Sachwert verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet (in den USA wird fast ausschließlich der Ertragswert Bewertungen zugrunde gelegt), was auch durchaus sinnvoll ist. Der Sachwert und der Ertragswert einer Liegenschaft sind Zwischenergebnisse, aus denen der Verkehrswert abgeleitet wird. Eine Gewichtung zwischen Ertragswert und Sachwert einer Liegenschaft ist nach der modernen, wissenschaftlichen Bewertungslehre nicht mehr haltbar.
| Zinssatz Kapitalisierung |
Angelpunkt jeder Bewertung im Ertragswertverfahren ist der Kapitalisierungszinssatz. Durch eine Empfehlung des Hauptverbandes der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Österreichs wurde der Zinsfuß für gewerblich genutzte Liegenschaften – und dazu zählen natürlich auch Hotels – im Februar 2022 gesenkt, und zwar in allen vier Kategorien (hochwertige, sehr gute, gute und mäßige Lage). Für hochwertige Lagen lautet die Empfehlung nunmehr 3,5 bis 6,5 Prozent (früher 5,0 bis 8,0 Prozent), für mäßige Lagen 5,5 bis 8,5 Prozent (früher 6,5 bis 9,5 Prozent). Diese Empfehlung ist eine anerkannte Hilfe. Bewegt sich ein Gutachter innerhalb der „empfohlenen“ Bandbreite, ist das Gutachten im Bereich des Kapitalisierungszinssatzes schwer anfechtbar, bewegt sich der Gutachter außerhalb der Bandbreite, muss er sehr gute Argumente dafür ins Treffen führen können.
| Was bedeutet das für die Praxis? |
Je niedriger der Kapitalisierungszinssatz ist, desto höher ergibt sich der Barwert. Der anzuwendende Zinssatz wird im Liegenschaftsbewertungsgesetz (LBG), § 5 Abs. 4, als Zinssatz definiert, der sich nach der, bei Sachen dieser Art üblicherweise, erzielbaren Kapitalverzinsung richtet. Mit anderen Worten handelt es sich also um jene Rendite, die sich Investoren für ihr eingesetztes Kapital erwarten. In der Praxis hat sich bewährt, als Ausgangspunkt zur Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes den Kapitalmarktzinssatz einer risikolosen Kapitalmarktanlage, den die Österreichische Nationalbank regelmäßig veröffentlicht, heranzuziehen. Darauf aufbauend sind die Risiko- und Immobilitäts-Zuschläge zu setzen. Wenn die projektierten Jahresergebnisse einen Inflationszuschlag enthalten, braucht die Inflation im Zinssatz nicht mehr berücksichtigt zu werden.
Internationale Bewertungen gewichten bei gewerblichen Immobilien den Ertragswert zumindest bedeutend höher als den Sachwert, so sie Letzteren nicht ganz außer Ansatz lassen. Diese Bewertungsmethode ist auch überwiegend bereits nach Österreich übergeschwappt. Bei der Hotellerie muss auch beim reinen Ertragswert der Wert des Grundes Berücksichtigung finden. Zwingend logisch, da bei Ende der Bewirtschaftung das Unternehmen liquidiert werden muss. Zudem sind die Grundwerte in Österreich in sehr vielen Städten und touristischen Standorten durch die große Nachfrage mit hohen Wertzuwächsen verbunden. Der Wertzuwachs bei Grund und Boden war in den letzten Jahren meistens höher als die zu erwirtschaftende Rendite. Auf den Sachwert kommt es bei Ertrags-Immobilien nur dann an, wenn der Zerschlagungswert höher als der Fortführungswert ist, wenn man also besser den Betrieb nicht weiterführt und besonders Gemäuer und Grund verwertet. Insbesondere bei Konvertierung eines Hotels in etwa Eigentumswohnungen (Ferienapartments) führt das zu einer Bewertung nach dem Sachwert, setzt aber voraus, dass die (verwaltungsrechtliche) Möglichkeit der Konvertierung bestätigt ist. Dies kann bei Betrieben mit kurzer Saison (etwa an Seen) zu einem weitaus höheren Sachwert als Ertragswert führen.
| Kolosseum und Trevi-Brunnen |
Persönliche Vorlieben und ideelle Wertzuweisungen sind unberücksichtigt zu lassen (§ 2 LBG). Daher ist auch die Bewertung des Kolosseums in Rom, wie durch eine bekannte amerikanische Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geschehen, mit dem Ergebnis 76,8 Milliarden Euro, eine bloße Gedankenspielerei, die in einem Gutachten angeführt vor keinem österreichischen Gericht halten würde. Da wäre es schon vertretbarer, ein Ertragswertgutachten über den Trevi-Brunnen in Rom vorzulegen. Immerhin betragen die Einnahmen aus den von Touristen in den Brunnen geworfenen Münzen pro Jahr 1,5 Millionen Euro, das sind mehr als 4.100 Euro pro Tag, welche ein Ertragswertgutachten ermöglicht. Wollte also die Eigentümerin, die Stadt Rom, diesen Grund verkaufen, könnte man den Kaufpreis durchaus als ewige Rente in der ewigen Stadt ermitteln. Diskussionen wären höchstens um den Kapitalisierungszinssatz und die Restnutzungsdauer zu erwarten.
| US-Bewertungsmethoden |
Vor rund 25 Jahren wurde von Hospitality Valuation Services (HVS) eine „Simultaneous Valuation Formula“ entwickelt. Sollte diese Methode zu uns kommen, dann wird sich auch an den Bewertungsergebnissen einiges ändern. In Österreich werden im Rahmen des Discounted Cash-Flow-Verfahrens (Ermittlung des Verkehrswertes von bebauten Liegenschaften) die Netto-Cash-Flows für jedes Jahr (Planungszeitraum ca. zehn Jahre) anhand der prognostizierten Einzahlungen und Auszahlungen ermittelt.
Die ermittelten Netto-Cash-Flows werden mit dem Diskontierungszinssatz auf den Bewertungsstichtag abgezinst. Am Ende des Planungszeitraumes wird ein fiktiver Verkauf der Immobilie unterstellt. Der Veräußerungswert ergibt sich aufgrund der Kapitalisierung einer ewigen Rente auf Basis des letzten Planjahres.
Ganz im Gegensatz dazu lässt die neue amerikanische Methode nur noch eine Berechnung auf eine zehnjährige Bestandsdauer des erwerbenden Unternehmens zu. Zu diesem so ermittelten Ertragswert wird dann der Verkaufserlös am Ende des zehnten Jahres dazugezählt. Dahinter steht natürlich eine völlig andere Philosophie. In Österreich wird ein Hotel gebaut, um eine Familie „auf 100 Jahre zu ernähren“, in Amerika, um es spätestens nach zehn Jahren zu verkaufen. Außerdem ist durchaus nachvollziehbar, dass man in Amerika auch deshalb auf zehn Jahre reduziert, weil man darüber hinaus keinesfalls mit wissenschaftlicher Sicherheit in die Zukunft prognostizieren kann. Wer kann schon voraussehen, wie die wirtschaftlichen und politischen, rechtlichen Rahmenbedingungen in zehn Jahren sein werden? Hätte vor fünf Jahren jemand mit dem Corona-Virus gerechnet oder sonst vor zwei Jahren jemand mit dem Ukrainekrieg? Natürlich ist einem Sachverständigen kein Vorwurf zu machen, wenn derartige exogene Fälle eintreten. Sie zeigen aber, wie wenig wahrscheinlich das Zutreffen einer Annahme über einen zehnjährigen Zeitraum hinaus sein wird.
Der Verkehrswert spielt nicht nur im Verkaufsfall eine relevante Rolle, sondern auch etwa bei Finanzierungen, bei denen Banken üblicherweise rund zwei Drittel des Verkehrswerts als Belehnungswert annehmen und darüber hinausgehende Kredite nicht oder zu schlechteren Bedingungen gewährt werden. Auf der anderen Seite spricht aber beispielsweise der Klimawandel auch dafür, zumindest bei Wintersportbetrieben in nicht sehr schneesicheren Lagen den der Bewertung zugrunde gelegten Beurteilungszeitraum eher kürzer anzunehmen. Wenn man aber den Beurteilungszeitraum – wie auch immer – verkürzen wollte, dann darf man aber auf der anderen Seite nicht außer Acht lassen, dass zumindest der Liquidationswert der Liegenschaft samt Baulichkeit als Sachwert wiederum berücksichtigt werden muss.
Wie schon vorhin ausgeführt, spielt dabei besonders der Bodenwert eine bedeutende Rolle. Wir haben in einigen Gemeinden in Salzburg und Tirol empirisch festgestellt, dass in den letzten zehn Jahren Wertzuwächse beim Bodenwert von über 10 Prozent pro Jahr eingetreten sind. Dieser Wertzuwachs für den Hotelgrund wird allerdings die Auswirkungen, auf die oben hingewiesen wurde, vermindern. Noch ist die HVS-Methode bei uns nicht überall angekommen. Berücksichtigt man aber, dass sich die EU-Regularien für die Kreditvergaben immer mehr an die angelsächsischen angleichen, dann muss früher oder später zumindest aus dieser Seite eine solche andere Bewertungsmethode Eingang finden. Für die noch nicht umgestiegenen heimischen Gutachter wird es daher Zeit, sich mit diesen Themen zu befassen.
| Wertgutachten-Rückblick |
Rückblickend auf die seit über 20 Jahren von uns erstellten Verkehrswertgutachten lässt sich erkennen, dass die vor zehn Jahren ermittelten Verkehrswerte bei Weitem von den in der Praxis erzielten Immobilienpreisen übertroffen worden sind. Wegen einer Insolvenz wurden wir im Jahr 2018 beauftragt, drei Hotels zu bewerten. Wir als Sachverständige des Insolvenzverwalters hatten für die drei Hotels Verkehrswerte ermittelt, welche dann von den Käufern zu um 4 Prozent höhere Kaufpreise erworben wurden. Da waren wir also sehr treffgenau. Der Sachverständige für die Gemeinschuldnerin hatte jedoch Unternehmenswerte ermittelt gehabt, welche weit unter den dann in der Insolvenzabwicklung erzielten Preisen gelegen sind.
| Conclusio |
Die Betriebswirtschaftslehre hat sich in den letzten vier Jahrzehnten sehr intensiv mit der Bewertungslehre auseinandergesetzt. Allein zum Thema Kapitalisierungszinssatz wurde ein wissenschaftliches Buch mit über 480 Seiten verfasst. Dieser Spezialbereich der Wirtschaftswissenschaften verwickelte sich dabei überschießend in Detailfragen, ohne dabei eine höhere Treffsicherheit zwischen dem Verkehrswert und den am Markt erzielten Kaufpreis zu erreichen.