Teil 23 der Serie Text: Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl
Immer wieder aufs Tapet gebracht werden Stereotypen und Mythen, die über Jahre und Jahrzehnte in der Tourismusbranche verbreitet werden, ohne dass sich jemand wirklich die Mühe macht, objektiv nachzuforschen, wie denn nun die Wirklichkeit aussieht. In dieser Ausgabe gehen die Münchner Tourismus- und Sozialwissenschaftler Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl der Frage auf den Grund, ob Fliegen dank umfassender Sicherheitskontrollen an Flughäfen nicht mehr so gefährlich ist wie früher.
Mythos: Fliegen ist nicht mehr so gefährlich.
Konsequente und umfassende Sicherheitskontrollen auf Flughäfen wirken vielfach beruhigend auf die Fluggäste, erwecken sie doch den Eindruck, dass Behörden und Fluggesellschaften das Geschehen unter Kontrolle haben. Der Erfolg der Bemühungen scheint sich auch daran zu zeigen, dass die Häufigkeit spektakulärer Terroranschläge in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist. Somit ergeben Umfragen, dass die Angst vor dem Fliegen nach einem Höhepunkt im Zusammenhang mit dem Anschlag auf das WTC im Jahr 2001 in den letzten Jahren abgenommen hat. Kann daraus aber gefolgert werden, dass das Fliegen inzwischen weniger gefährlich geworden ist?
Leider berechtigt wenig zu einer derartigen Einschätzung. Entsprechende Zahlen aus den USA lassen weiterhin ein erhebliches Gefahrenpotenzial erkennen. Abgesehen vom pandemiebedingten Rückgang des Flugverkehrs 2020 hat sich seit 2010 die Anzahl der bei Kontrollen entdeckten Schusswaffen ständig erhöht. Einer Statistik der Transportation Security Administration (TSA) zufolge wurden im ersten Vierteljahr 2023 an US-amerikanischen Flughäfen 1508 Schusswaffen ermittelt. Verglichen mit demselben Zeitraum im Vorjahr bedeutet dies eine Steigerung um mehr als 10 Prozent, wobei jedoch auch die gleichzeitige Zunahme der Passagierzahlen (von 158 Millionen auf 191 Millionen, das heißt eine Zunahme um mehr als 20 Prozent) berücksichtigt werden muss. Bedenklich stimmt auch, dass sich bei den gefundenen Waffen der Anteil der geladenen von 86 Prozent auf 93 Prozent erhöht hat. Dies beinhaltet ein erhebliches Sicherheitsrisiko sowohl auf den Flughäfen als auch im Flugzeug. So löste sich zum Beispiel 2021 auf dem Flughafen von Atlanta (Georgia) aus unbekannten Gründen ein Schuss aus einer im Handgepäck mitgeführten Waffe, worauf ein Sicherheitsmitarbeiter die Tasche öffnete und ein Passagier nach seiner Waffe griff. Infolge der dadurch entstandenen Panik war der Flughafen für zweieinhalb Stunden gesperrt.
Im Jahr 2022 wurde bei Sicherheitskontrollen mit insgesamt 6542 im Gepäck entdeckten nicht angemeldeten Schusswaffen der bisherige Jahreshöchststand auf US-amerikanischen Flughäfen registriert. Zwar kann man in den USA grundsätzlich mit Schusswaffen reisen, doch dürfen diese nicht in die Kabine mitgenommen werden. Die Besitzer müssen eine Berechtigung zur Führung der Waffe nachweisen, diese ordnungsgemäß verpacken und sichern und bei der jeweiligen Fluggesellschaft deklarieren. Wird bei der Abfertigung am Röntgengerät etwas Verdächtiges bemerkt, stoppt sofort das Band, der betreffende Besitzer hat keinen Zugriff mehr auf sein Gepäck und weitere Sicherheitskräfte werden alarmiert. Handelt es sich bei dem verdächtigen Objekt um eine ungesicherte und/oder undeklarierte Schusswaffe, wird eine Geldstrafe bis zu 14.950 Dollar fällig. Zusätzlich kann auch noch – je nach den jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen in den einzelnen Bundesstaaten – eine Anzeige erfolgen oder eine Haftstrafe ausgesprochen werden. Denn: Von einem solchen Vorfall sind auch Unbeteiligte betroffen, weil es dann häufig zu erheblichen Verzögerungen bei der Abfertigung mit weitreichenden Auswirkungen auf den weiteren Flugbetrieb kommt.
Nicht immer wird eine entdeckte Waffe jedoch konfisziert und der Besitzer von der Beförderung ausgeschlossen. So besteht in einigen Bundesstaaten die Möglichkeit, dass ein überführter Passagier mitfliegen kann, wenn er seine Waffe einer Begleitperson übergibt. Die meisten Schusswaffenträger wurden nach Angaben der zuständigen Behörden zufolge in den Bundesstaaten entdeckt, in welchen ein relativ liberales Waffenrecht herrscht, wie zum Beispiel in Arizona, Colorado, Florida, Georgia, Tennessee oder Texas.
„Was wir an unseren Kontrollpunkten sehen, spiegelt das wider, was wir in der Gesellschaft sehen, und in der Gesellschaft tragen heute mehr Menschen Schusswaffen.“
David Pekoske von der Transportation Security Administration (TSA)
So handelt es sich bei den mit einer undeklarierten Waffe ertappten Personen in der Regel nicht um Berufsverbrecher oder potenzielle Flugzeugentführer, sondern um gedankenlose Waffenbesitzer, für die die Mitnahme eines Revolvers so selbstverständlich ist wie für andere ein Mobiltelefon oder ein Notizbuch. Dass ihr Verhalten eine Gefährdung der Allgemeinheit beinhaltet, scheint ihnen nicht bewusst zu sein.
Zu den ertappten Schusswaffenbesitzern kommen noch andere – in der Statistik nicht aufgeführte – Reisende mit Waffen wie Dolchen, Messern und anderen Gegenständen, die auch als Waffen benutzt werden können. Abgesehen davon – und von der Dunkelziffer, das heißt von den nicht entdeckten Waffen – klingt dies selbst bei 158 Millionen Fluggästen und 8,6 Schusswaffen pro einer Million Passagiere im Jahr 2022 wenig beruhigend, da ja bereits ein Täter beziehungsweise eine Waffe genügen kann, um ein Flugzeug mit bis zu 400 Insassen in ernsthafte Gefahr zu bringen.
Erschreckend an solchen Zahlen ist die offensichtliche Selbstverständlichkeit einer Schusswaffe im Fluggepäck (wie auch sonst im amerikanischen Alltag). Wurden im Jahr 2000 in den USA rund 7 Millionen verkaufter Feuerwaffen registriert, waren es einer Statistik des Handelsverbands National Shooting Sports Foundation 22 Jahre später 16,4 Millionen. Selbst die sich häufenden Amokläufe von Waffenbesitzern haben nicht zu einem Umdenken geführt.
Für das aus der Zeit des Unabhängigkeitskriegs und der gewaltsamen Landnahme stammende sowie in der Verfassung garantierte Recht der US-Amerikaner, stets eine Waffe mit sich zu führen, mochte es damals gute Gründe gegeben haben, doch lassen sich diese heute schwerlich geltend machen – vor allem nicht an Flughäfen und in Flugzeugen.